Das Konzert „Und nie verstummt es – Wie Worte Wege finden“ im Festsaal der Stella Vorarlberg Privathochschule für Musik war weit mehr als ein klug konzipiertes Musikprojekt. Es war ein Abend, der musikalische Tradition, persönliche Geschichten und gesellschaftliche Fragen miteinander verband – eindringlich, berührend. Im Zentrum stand Joseph Haydns Zyklus „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“, 1787 für die Karfreitagsliturgie in Cádiz komponiert, hier aber in einen neuen Horizont gestellt: Zu jeder der sieben Sonaten gab es Beiträge von Jugendlichen, die ihre eigenen Gedanken und Ausdrucksformen einbrachten – aus Südafrika, Vorarlberg und der Schweiz.
Die Jugendlichen brachten ihre eigenen Gedanken und Ausdrucksformen in jede der sieben Sonaten ein.
Den Auftakt bildete das Largo „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, ergänzt durch ein Video von Jugendlichen aus Soweto, deren Stimmen zwischen Anklage und Hoffnung
oszillierten – ein starker Auftakt, der globale Realität und spirituelle Dimension eindrucksvoll verband. Es folgte eine fein abgestimmte Präsentation der Berufsschule Bregenz: Unter der Leitung
von Christine Fischer-Kaizler gestalteten die Schüler eine PowerPoint-Präsentation mit sehr persönlichen Gedanken zum Begriff des Paradieses – ernsthaft, klug, mit bemerkenswerter
Offenheit.
Bianca Jäger-Schnetzers Mittelschulklasse brachte eine warme, kreative Note ins Spiel: Bastelarbeiten, T-Shirt-Druck, kurze Videos – ein ästhetischer Kommentar zur dritten Sonate „Frau, siehe
deinen Sohn“, die für Verbundenheit und Fürsorge steht. Dunkler und verstörender wurde es im vierten Satz: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Der Jugendclub des Vorarlberger
Landestheaters zeigte – in Verbindung mit Erich Kästners „Kleines Solo“ – ein Video, in dem Jugendliche durch Städte irren, einander nicht sehen, nicht hören. Es war eine stille Klage über
Isolation und Unsichtbarkeit.
Auf die Introduzione folgte das Adagio „Mich dürstet“, begleitet von Texten der Avrona-Gang. Die Jugendlichen sprachen von existenzieller Leere, von Sehnsucht, vom Durst nach Sinn und Anerkennung
– kraftvoll, direkt, unausweichlich. Der bewegendste Moment des Abends aber war Intervention Nr. 6: „Es ist vollbracht“, mit den Worten von Manon Bauer, die ihre Beiträge kurz vor ihrem viel zu
frühen Tod aufgenommen hatte. Zwei Gedichte – reduziert, hellsichtig, radikal offen – die wie ein letzter Gruß im Raum standen: nicht sentimental, sondern klug, stark, unauslöschlich.
Den inhaltlichen Schlusspunkt setzte die siebte Sonate: „Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist“. Schüler der HTL Rankweil hatten Stimmen gesammelt – Gedanken über Zukunft, Angst,
Verantwortung. Aus dem Off erklangen sie, ruhig, fast schwebend, und entließen das Publikum in eine Nachdenklichkeit, die nicht bedrückte, sondern leise Hoffnung zuließ. Der musikalische
Schlusspunkt folgte mit dem „Terremoto“ – Haydns eruptivem Finale, das wie ein Nachbeben all dessen wirkte, was zuvor gesagt, gespielt und gedacht worden war.
Die Darbietung der Studierenden zeichnete sich durch große Sensibilität und Präzision aus. Auffallend war, wie die jungen Musiker den feinen Spannungsbogen zwischen meditativen Momenten und
kraftvollen Ausbrüchen meisterten. Es wurde deutlich, dass die Interpretation nicht einfach einer historischen Vorlage folgte, sondern im kreativen Dialog mit heutigen Ausdrucksformen
stand.
Chor, Solisten und Orchester – insgesamt fast 80 Mitwirkende – wurden vom rätoromanischen Dirigenten Clau Scherer souverän geleitet. Der Klang war ausgewogen, das Zusammenspiel inspiriert, und
auch die Vokalpartien überzeugten auf ganzer Linie: Anna Gschwend (Sopran), Salome Cavegn (Alt), Philipp Classen (Tenor) und Ulfried Staber (Bass) bildeten mit dem Cantus Firmus Surselva und dem
Pforte Kammerorchester Plus ein Ensemble, das dem Geist dieses außergewöhnlichen Abends uneingeschränkt gerecht wurde.
Vorarlberger Nachrichten | Andreas Marte