Durch Wildnis mild dein Strahl zu Menschen kam
Wie Stille uns davonträgt
Pforte im Frauenmuseum | Konzert & Ausstelllung: Sa 27. September, 19 Uhr im
Frauenmuseum Hittisau
Programm
Werke von Marin Marais (1656–1728)
& Monsieur de Sainte-Colombe (1640–1700)
Ausführende
Christoph Urbanetz Viola da Gamba
Réka Nagy Viola da Gamba
Thomas Boysen Theorbe
Johannes Hämmerle Cembalo, Leitung
Der Ton(fall) macht die Musik
Das fünfte Abonnementkonzert stellt Marin Marais in den Mittelpunkt, einen der gefeiertsten Gambenvirtuo- sen und -komponisten aller Zeiten, und möchte die besondere Beziehung von Sprache und Musik in seinem Schaffen beleuchten. Stücke wie "Les voix humaines" ("Die menschlichen Stimmen") scheinen Marais’ musikalisches Programm schlechthin zu verkörpern: Instrument und Stimme, Musik und Sprache, Spiel und Gespräch fließen ineinander, werden zur Einheit, werden zum Synonym.
Marais erlernte das Gambenspiel schon sehr früh und dürfte darin eine Art zweite Muttersprache gefunden haben. Als Sechzehnjähriger kam er in die Obhut des berühmten Monsieur de Sainte-Colombe und trat damit in eine ganz besondere Lehrer-Schüler-Beziehung ein. Als Sainte-Colombe nach nur sechs Monaten erkannte, dass er wohl schon bald von seinem hochbegabten Zögling übertroffen würde, brach er kurzerhand den Unterricht ab. Doch Marais ließ sich so leicht nicht abweisen: Um seine musikalische Muttersprache zu verfeinern, begab er sich in die Rolle eines eifrigen Zuhörers. Zeitgenössische Berichte schildern, dass Marais heimlich unter die Bodenbretter kroch, um dem Meister beim Spielen zuzuhören und noch weitere Feinheiten beim Spiel auf der Gambe zu erlernen.
Sein weiterer Weg führte Marais ins Zentrum des Pariser Musiklebens. Er wurde zum Opernkomponisten wie auch zum Geschichtenerzähler in der Instrumentalmusik, wenn er seine Erfahrungen mit dem Theatralischen in immer bilderreichere Charakterstücke einarbeitete. Zugleich aber war in Paris die französische Musiksprache durch den Einfluss der Italiener besonders harten Prüfungen unterworfen und in diesem Spannungsfeld schlugen Komponisten sehr unterschiedliche Wege ein: Viele bedienten sich gerne und erfolgreich der typisch italienischen Effekte, um durch die Vermischung der Stile ihrer Musik eine besondere Würze zu verleihen.
Nicht so hingegen Marin Marais, der sich klar an die Seite der Traditionalisten stellte. Seine musikalische Sprache blieb französisch und sein Instrument die Gambe, das vielleicht französischste aller Instrumente. Es ist wohl Marais’ intensives Bemühen um die Wahrung und Entwicklung seiner musikalischen Muttersprache, verstärkt durch die Auseinandersetzungen zwischen den Nationalstilen, wodurch seine Musik ihr ganz besonderes Gesicht erhalten hat. Trotz der traditionellen Formtypen in "klassischen" Suiten und deren programmatischen Inhalte in den Charakterstücken lässt sie sich anhand äußerlicher Merkmale mitunter schwer erschließen. Vielmehr scheinen alle Affekte und Bilder aus inneren Prozessen heraus zu wachsen, aus einer Art Gespräch, welches sich in der Musik vollzieht. Genau wie im Gespräch zählt dabei bei weitem nicht nur das Inhaltliche, also nicht nur das Was, sondern auch das Wie. Es kommt auf den Tonfall an, auf die Aus- sagen zwischen den Zeilen, auf die Denkpausen, auf das Atemholen. Darin liegt die besondere Faszination und Herausforderung, wenn wir die Werke von Marais zum Klingen bringen wollen: Wir müssen uns ganz in die Situation des musikalischen Gesprächs hineinbegeben, wissend, dass sich dieses Gespräch immer anders entwickeln wird. Damit entzieht sich Marais’ Musik dem Objektiven, sie will aus der Haltung des Gespräch-Seins ständig neu entstehen.