23./24./25. Mai  Konzert N°3

Die Initation

Zwischen Mut und Verzweiflung

 

Pforte um 7  |  Die öffentliche Generalprobe

Do 23. Mai, 19 Uhr, Pförtnerhaus Feldkirch

 

Impuls um halb

Die international sehr erfolgreiche Komponistin und Bratschistin Sally Beamish teilt beim Impuls um halb ihre persönlichen Erfahrungen mit uns, wo in ihrem Leben Initiation stattgefunden hat, wo Mut gefragt war, um die Verzweiflung zu überwinden.

 

 


 Programm

 

Vilma von Webenau (1875–1953)

Klavierquartett e-Moll

 

Gabriel Fauré (1845–1924)
Klavierquartett op. 15 c-Moll


Sally Beamish (*1956)

Klavierquartett UA

 

 

Ensemble Louise Farrenc:

Berit Cardas Violine
Klaus Christa Viola

Mathias Johansen Violoncello
Katya Apekisheva Klavier

 


 

Wäre sie ein Mann gewesen ...

 

Meines Wissens war ich Schönbergs erste Privatschülerin (von 1898 oder 99 an). Erst in Wien und dann in Berlin, wo er beim seligen Überbrettl Kapellmeister war, weihte er mich in Harmonielehre, Kontrapunkt und Kompositionslehre ein. Nachdem ich mehrere Jahre mit Unterbrechungen bei Schönberg studiert hatte, arbeitete ich auf eigene Faust weiter und lernte dann bei Cortolezis in München instrumentieren.


Diese Worte von Vilma von Webenau finden sich in einem Album, den die Schüler*innen Schönberg zum 50. Geburtstag schenkten und der Tonfall erzählt viel über den Charakter von Vilma von Webenau. Dass sie nicht nur die erste seiner Schülerinnen war, sondern auch zum auserwählten Kreis gehörte, mit denen Schönberg aktiv Kontakt hielt, hat Peter Gradewitz in einem Aufsatz festgehalten:


Die frühe Schülerin Vilma von Webenau, deren Musik Schönberg in seinem ersten Schülerkonzert im November 1907 in Wien vorstellte, und die im selben Konzert aufgeführten Komponisten Iwanow und Karl Horowitz, ebenso Erwin Stein als Komponist, haben die Forschung bisher anscheinend noch nicht interessiert; hier klafft eine Lücke; dabei hatte sie Schönberg für ebenso wichtig gehalten wie Alban Berg, Anton Webern und Heinrich Jalowetz, die im gleichen Konzert zu Wort kamen.


Dass sie in Schönberg einen der charismatischsten Kompositionslehrer des letzten Jahrhunderts fand, lässt uns der folgende Ausschnitt aus einem Aufsatz von ihm erahnen:


Ein Lehrer kann einem Schüler nicht dazu helfen, viele und schöne Themen zu erfinden, auch vermag er nicht Ausdrucks- kraft oder Tiefe zu bewirken. Statt dessen kann er strukturelle Korrektheit und das für den Zusammenhang Erforderliche lehren. Er kann auch den Sinn für Ausdehnung und Ausführlichkeit oder im Gegenteil Kürze und Beschränkung des Experimentierens und die Fähigkeit zur Beurteilung der Produktivität eines Gedankens schulen. Weiterhin kann er den Geschmack beeinflussen und dadurch Trivialität, Redseligkeit, Oberflächlichkeit, Schwülstigkeit, Gefälligkeit und andere schlechte Angewohnheiten ausschließen.

 

Wenn wir heute ihr ebenso inspiriertes wie eigenwilliges Werk überblicken, bekommen Schönbergs Worte eine tiefere Bedeutung: Bei Vilma von Webenau ist nichts redselig oder oberflächlich, kein Ton ist zu viel. Mir kommen unweigerlich ihre Sommerlieder für Streichquartett und Rezitation in den Sinn, die im Juni 2023 vom Pforte Publikum mit Begeisterung aufgenommen wurden. Diese kurzen skizzenhaften musikalischen Blumenportraits, die in ihrem Tonfall einzigartig sind, zeigen sie in ihrer Originalität. Wie konnte jemand, der eine so besondere Musik schrieb, völlig in Vergessenheit geraten? Ich denke an ihre humorvollen musikdrama- tischen Werke, zu denen sie die Libretti selbst schrieb, die meisterhaft instrumentierten Orchesterstücke, die herrlichen Lieder und viele Kammermusikkompositionen.

 

Das Klavierquartett in e-Moll ist in ihrem Kammermusikwerk eine spannende Ausnahme und es hat in mehrerlei Hinsicht etwas von einer Initiation: Im Umfang vergleichbar mit den großen Werken der Gattung kann es durchaus als Komposition betrachtet werden, die ihr Einlass in den Kammermusikolymp gewähren sollte, also in diesem Sinne eine Initiations-Komposition. Wäre sie ein Mann gewesen ...

 

In Vilma von Webenaus Schicksal verdichten sich tragisch die Rahmenbedingungen, die den Weg zu einer Komponistinnen-Karriere verunmöglichten: Sie war eine bescheidene Person, die sich zurückhaltend und hingebungsvoll ihrem Werk verschrieben hatte. Ihre Stellung im Schönberg-Schüler*innenkreis wäre ein hervorragender Platz gewesen, denselben Bekanntheits- grad wie Anton Webern, Hans Eisler oder Alban Berg zu erreichen. Dafür hätte sie es wahrscheinlich verstehen müssen, nach den Regeln der selbstbewussten, kompetitiven Männerwelt zu spielen. Förderung durch Bestärkung und Ermutigung, beispielsweise durch ihre Kollegen, war für Vilma von Webenau offensichtlich nicht vorgesehen.

So war es möglich, dass das Werk einer der bedeutendsten Schüler*innen von Arnold Schönberg in völlige Vergessenheit geraten ist. Gottseidank gelang es wenigstens, ihren Nachlass in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek zu sichern. So bleibt uns das Privileg, in der Pforte dieses zu Unrecht kaum bekannte Werk endlich einem Publikum zugänglich zu machen.

 

Klaus Christa