Konzert N°4: Beflügelte Worte
Von der freien Rede im Madrigal
Pforte um 7
23. September, 19 Uhr | Pförtnerhaus Feldkirch
Pforte um 8
Fr 24. September, 20 Uhr | Pförtnerhaus Feldkirch
Impuls um halb
Fr 24. September, 19.30 Uhr | Erdgeschoss Pförtnerhaus
mit Johannes Hämmerle
Programm:
Madrigale und Cantaten von
Claudio Monteverdi (1567–1643)
Girolamo Frescobaldi (1583–1643)
Heinrich Schütz (1585–1672)
Johann Hermann Schein (1586–1630) u. a.
Jessica Jans Sopran
Mirjam Wernli-Berli Sopran
Bernd Fröhlich Altus
Jakob Pilgram Tenor
Dominik Wörner Bass
Thomas Boysen Theorbe & Barockgitarre
Barbara Fischer Violone
Johannes Hämmerle Cembalo, Orgel & Leitung
Der freie Wille der Madrigale
Fast zwingend muss das heurige Jahresmotto unseren Blick auf die Musik des frühen 17. Jahrhunderts lenken. Die Komponisten an der Wende von der Renaissance zum Frühbarock führen uns auf faszinierende Weise vor Augen, welch fruchtbare künstlerische Freiheit entstehen kann, wenn Musik beginnt, ihre inneren Barrieren zu durchbrechen. Wo Musik sich nicht mehr an ihre Grenzen und Regeln klammert, wird sie tatsächlich – wie Busoni es beschreibt – frei wie die Natur. In solcher Freiheit erst kann Musik soweit über sich hinauswachsen, dass sie den Menschen in seiner Komplexität erfassen kann.
An Grenzen gab es in der Musik des 16. Jahrhunderts genug zu überwinden: vokal und instrumental, geistlich und weltlich, Kunst und Folklore, E und U. Das alles
waren Gegensatzpaare, die lange Zeit streng voneinander getrennt wurden. Mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit verstanden es die Musiker, diese
unsichtbaren Grenzen immer mehr aufzubrechen. Wo sich einst verschiedene musikalische Sprachen beziehungslos gegenüber- standen, entwickelten sich ganz neue Ausdrucksformen. So entstand ein neuer
Stil, der in noch nie da gewesenem Maße imstande war, menschlichen Emotionen unmittelbaren musikalischen Ausdruck zu verleihen. Dabei ist bemerkenswert, dass der «stile nuovo» weiterhin eine
versöhnliche Allianz mit dem «stile antico» pflegte.
Die Sicht auf Altes und Neues schärfte den Blick der Komponisten auf die menschliche Seele, welche eben im Spannungsfeld von Tradition und Innovation, von
Stabilität und Zerrüttung, von Kontrolle und Chaos steht. Musik um 1600 kennt sowohl das zeitlos gültig Schöne, kodifiziert in den Regeln des alten Stils, als auch das höchst Spontane und
Individuelle, welches sich in der Experimentierfreude des neuen Stils wider- spiegelt.
Als kunstvolle Vertonung von weltlichen Texten war das Madrigal von jeher eine neue und somit recht freie Gattung, die ein beträchtliches Eigenleben entwickeln
durfte. Vor allem aber entstammt es ganz dem Geist des Humanismus und musste somit einfach zum Brenn- punkt aller Bemühungen werden, den Menschen mit seinem ganzen Spektrum an Gefühlen in den
Mittel- punkt der Musik zu stellen. Mit den frühbarocken Madrigalen dieses Abends werden wir traumwandlerisch zwischen den Grenzen von Traditionellem und Durchgeknalltem hin und her spazieren –
genau so, wie die Menschen, von denen sie uns erzählen.
Johannes Hämmerle
Mutter Sprache
Ich habe mich
in mich verwandelt
von Augenblick zu Augenblick
in Stücke zersplittert
auf dem Wortweg
Mutter Sprache
setzt mich zusammen
Menschmosaik
Rose Ausländer (1901–1988)