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25 Jahre Einsamkeit

 

«Nicht sehen trennt von den Dingen, nicht hören trennt von den Menschen.» 

 

Dieses Kant zugeschriebene Zitat drängt sich mir in den Sinn, wenn ich an die Tragödie Beethovens – seine Taubheit – denke. Für Laien schwer vorstellbar und doch ganz klar: Das kleinste Problem seiner Taubheit war für Beethoven das Schreiben von Musik. Es war für ihn ein Leichtes, die Musik innerlich zu hören und dann zu notieren. 

Die Tragödie seiner Taubheit lag in den für ihn daraus erwachsenden sozialen Schwierigkeiten. Seine Schwerhörigkeit trennte ihn von der Welt der Menschen um ihn herum. Interaktion wurde unendlich schwierig und mühsam, seine davor schon ausgeprägte Neigung zu misstrauen, verstärkte sich. Welche Zumutung diese Krankheit für ihn war, erfahren wir in einem erschütternden Brief an seinen Jugendfreund Wegeler aus dem Jahre 1801. Zum ersten Mal berichtet er von seiner großen und bedrückenden Not:

 

«Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu, seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weil es mir nicht möglich ist den Menschen zu sagen: Ich bin taub. Hätte ich irgend ein anderes Fach, so ging’s noch eher, aber in meinem Fache ist das ein schrecklicher Zustand; dabei meine Feinde, deren Zahl nicht geringe ist, was würden diese hierzu sagen!» 

                                         

Wir erkennen die Scham, die Beethoven erfüllt. Ihm ist völlig bewusst, dass ein tauber Musiker für die meisten Menschen eine befremdende Vorstellung ist. 

Er schreibt weiter:

 

«Um Dir einen Begriff dieser wunderbaren Taubheit zu geben, so sage ich Dir, dass ich im Theater ganz dicht am Orchester anlehnen muß, um den Schauspieler zu verstehen. Die hohen Töne von Instrumenten, Singstimmen, wenn ich etwas weit weg bin, höre ich nicht; im Sprechen ist es zu verwundern, daß es Leute gibt, die es niemals merkten; da ich meistens Zerstreuungen hatte, hält man es dafür. Manchmal hör’ ich den Reden- den, der leise spricht, kaum, ja die Töne wohl, aber dieWorte nicht; und sobald Jemand schreit ist es mir unausstehlich. Was nun werden wird, das weiß der liebe Himmel. (...) Ich habe schon oft  mein Dasein verflucht; (...) Ich will, wenn’s anders möglich ist, meinem Schicksale trotzen, obschon es Augenblicke meines Lebens geben wird, wo ich das unglücklichste Geschöpf Gottes sein werde.» 

 

Ab 1818, also neun Jahre vor seinem Tod, war es für die Menschen um Beethoven nur noch möglich, sich in seine Konversationshefte schreibend mitzuteilen. Braun von Braunthal berichtet von einem Gasthausbesuch Beethovens: 

 

«So trat er ein, setzte sich zu einem Glas Bier, rauchte aus einer langen Pfeife und schloss die Augen. Angesprochen oder vielmehr angeschrien von einem Bekannten, schlug er die Lider auf wie ein aus dem Schlummer geschreckter Adler, lächelte wehmütig und reichte dem Sprechenden ein Heft Papier mit dem Stifte hin, den er aus seiner Brusttasche zog, und ermahnte ihn mit jener den Tauben eigenen kreischenden Stimme,  das zu Fragende niederzuschreiben. War dies geschehen, so schrieb er die Antwort sogleich freundlich darunter oder gab eine solche auch mündlich.» 

 

Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Beethoven bis zu seinem Tode 190 Konversationshefte füllte, dann bekommen wir eine Idee davon, mit welchem Aufwand der Kontakt zur Welt für ihn verbunden war: Heft herausnehmen, Bleistift anbieten, den anderen schreiben lassen und dann meistens mündlich reagieren, sehr selten schriftlich. Flüssige Gespräche waren nicht mehr möglich. Das oft so beglückende Hin und Her der Worte war gebremst und es ist auch sehr wahrscheinlich, dass sich die Gesprächspartner auf das Wesentliche konzentrierten. Was es mit einem Menschen macht, wenn er Jahre seines Lebens in dieser radikalen Isolation und Verlangsamung bzw. Fokussierung der Kommunikation leben muss, wissen wir im Falle Beethovens genau. Die Werke seiner letzten neun Lebensjahre entwickeln sich in eine neue Dimension, die in den fünf letzten Streichquartetten gipfelt: Beethoven ist zum komponierenden Philosophen geworden. Wer die philosophische, spirituelle Aussage dieser Werke verleugnet, für den sind diese Quartette auch heute noch verstörend. Wer aber anerkennt, dass sie das Leben abbilden, wie es für Beethoven wirklich war und nicht, wie er es sich gewünscht hätte, der wird durch diese Musik zutiefst getröstet. 

Wahrscheinlich bedurfte es dieser Einsamkeit: Sie trotzte ihm, dem Mutigen, die Entschlossenheit ab, so kompromisslos und ehrlich zu sprechen, wie er es mit diesen letzten Meisterwerken getan hat. 

 

 

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