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Wachsen oder Plotter will nicht schwimmen

Klaus Christa

Vor ungefähr 15 Jahren habe ich als vorlesender Vater ein Bilderbuch entdeckt, dessen Botschaft mich seit damals nie mehr loslässt: „Plotter will nicht schwimmen“. Die Geschichte ist schnell erzählt:

 

Plotter will nicht schwimmen, er findet Schwimmen blöd. Unglücklicherweise ist ein Hallenbadbesuch seiner Schulklasse geplant. Plotter fühlt sich krank an diesem Morgen, erst der von der Mutter in Aussicht gestellte Arztbesuch kuriert ihn von seiner Krankheit und in der Schule geht sein Leidensweg weiter: Er versteckt sich, wird von seiner Lehrerin gefunden, die Prozedur wiederholt sich im Schwimmbad. Und gebetsmühlenartig wiederholt er immer und immer wieder: „Schwimmen ist blöd.“ Schlussendlich landet er in der Schwimmhalle. All seine Versuche zu entrinnen, sind gescheitert. Nun erklärt er dem Bademeister und Schwimmlehrer, dass er nicht ins Wasser darf, weil er sich sonst in ein Monster verwandelt - der Schwimmlehrer gibt vor, diese Erklärung zu glauben und erspart ihm den Gang ins Becken. Zwei seiner Klassenkameraden schubsen ihn aber unerwartet ins Wasser und wollen sich damit über seine Monstertheorie lustig machen. Der Schwimmmeister fischt ihn heraus - der Bann ist gebrochen, die Angst überwunden. Nun beginnt Plotters Leben als werdender Schwimmer.

 

Ich habe mich seitdem unzählige Male an das Buch erinnert:  Wenn jemand darüber gesprochen hat, dass er etwas eben nicht mag, dass er es blöd findet, habe ich für mich die „Plotter-Probe“ gemacht. Immer wenn ich den Mut fasste, an der „Schwimmen ist blöd“ -Fassade zu kratzen, stieß ich auf Brüchiges, Verletzliches, Unklares, Ängstliches.  

 

„Schwimmen ist blöd“ ist der Versuch, sich dieser verschwommenen, schwierigen, ambivalenten Wirklichkeiten durch eine souveräne Etikettierung zu entledigen, was praktisch immer gelingt.  Aber der Preis ist hoch: Wir würgen Lebendiges in uns ab, sperren es weg.

Gute Gründe dafür gibt es immer. Es ist nicht einfach, hinzusehen, was da wirklich in uns lebendig ist, weil es uns vielleicht überfordert. Da taucht  der Schmerz auf, der uns überkommt, wenn wir uns eingestehen, dass wir den Mut nicht finden, zu unseren Wünschen zu stehen oder sie gar umzusetzen.

Da wird die Angst spürbar, uns verletzlich zu zeigen, wo wir ein Feld betreten, auf dem wir uns völlig unsicher und klein fühlen.

Oder wir gestehen uns selbst einfach nur traurig zu, dass wir uns in uns selber nicht wirklich auskennen.

 

Mich überkommt immer mehr eine ebenso bedrohliche wie befreiende Ahnung: Wo unser inneres Leben wahrhaftig ist, ist es nie nur einfach. Wo es wahrhaftig ist, fehlt meist die Klarheit. Stimmen aus der Vergangenheit rufen uns Dinge zu, die wir nicht mehr hören wollen, denen wir aber doch nicht entfliehen können. Verdrängte Sehnsüchte sich trotz regelmäßiger „Schwimmen ist blöd“- Rufe nicht in Luft aufgelöst. Die Liste ist lang und für jeden von uns ein wenig anders…

Wenn wir etwas blöd finden, dann geht es uns wirklich an.

Das „blöde Objekt“, die „blöde Tätigkeit“, sie ziehen uns ebenso in ihren Bann, wie sie uns abstoßen. 

 

Wahrscheinlich sind es oft stille Augenblicke, in denen wir den „Plotter in uns“ überwinden könnten.  Das ist vielleicht nur ein Blick, der uns trifft und dem wir nicht gleich entfliehen, sondern ihm ein paar Sekunden mutig standhalten.  Oder einfach ein Anruf, von dem wir ahnen, dass er ebenso wichtig wie unangenehm sein könnte. Oder dass wir einfach nur ehrlich hinsehen, was da wirklich in uns los ist.

 

Und wenn mich jemand fragte, warum er sich diesen unangenehmen, schmerzhaften Prozessen aussetzen sollte, so möchte ich ihm ein Zitat zurufen, das mich auch seit Jahren begleitet und stärkt. Ich würde ihn für die Haltung dem Leben gegenüber begeistern wollen, die sich in diesem Zitat aus einer Rede von Theodore Roosevelt, die er am 23. April 1910 in der Pariser Sorbonne hielt, ausdrückt:

 

„Es kommt nicht auf den Kritiker an; nicht auf den Mann, der erklärt, warum der starke Mann gestrauchelt ist oder wie ein Mann der Tat es hätte besser machen können. Der Lorbeer gebührt dem Mann, der tatsächlich in der Arena steht, dessen Gesicht mit Staub und Schweiß und Blut verschmiert ist; der tapfer strebt; der sich irrt, wieder und wieder scheitert, weil es kein Fortkommen ohne Irrtum und Fehler gibt; der sich tatsächlich bemüht, das Nötige zu tun; der den großen Enthusiasmus und die wahre Hingabe kennt; der für eine Sache, die es wert ist, alles gibt; der im besten Falle schließlich den Triumph einer großen Leistung kennen lernt und im schlimmsten Fall scheitert, weil er Großes gewagt hat, so dass sein Platz niemals bei den kalten, furchtsamen Seelen ist, die weder Sieg noch Niederlage kennen.“

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